Wie Videokonferenzen den Neugeschäftsprozess von Agenturen dynamisieren

Peter Hammer hat für seinen W&V-Artikel „Dank der Digitalisierung: Stirbt der normale Pitch?“ mit unterschiedlichen Expert:innen aus der Agenturwelt gesprochen und deren Meinung und Einschätzung zur Entwicklung des Pitch-Prozesses eingeholt. Was Torsten Hunsicker, Director Sales & Marketing, direkt auffällt: Es ist viel die Rede von der sogenannten „letzten Meile“, der tatsächlichen Wettbewerbspräsentation. Was hier allerdings nicht zur Sprache kommt und aus meiner Sicht ebenfalls interessant ist: Wie hat sich der grundsätzliche Sales-Prozess der Agenturen durch die Digitalisierung verändert? Denn die letztendliche Wettbewerbspräsentation ist nur ein Teil des Weges, Neukunden zu gewinnen.

Digitalisierung im Neukunden-Prozess muss früher einsetzen

Bei dieser Agenturvielfalt auf dem deutschen Markt, die ich wirklich großartig finde, sind gerade kleinere, mittelständische Agenturen nicht unbedingt im „Relevant Set“ der Marketingentscheider:innen. Diese müssen hierfür richtig arbeiten, im Neugeschäft proaktiv sein und können es sich nicht erlauben, auf Einladungen für Ausschreibungen zu warten. Aufgrund dessen muss die Betrachtung, wie die Digitalisierung das Neugeschäft in Agenturen verändert, bereits einen Schritt vorher ansetzen.

Während ich vor der Pandemie zu Erstgesprächen oder Chemistry Meetings durch die komplette Republik gereist bin, was auch bedeutete, dass ein kompletter Arbeitstag „verloren ging“, habe ich heute die Möglichkeit mehrere New-Business-Termine an einem Tag wahrzunehmen.

Ob ein nicht persönliches Treffen auch gleichzeitig Qualitätsverlust bedeutet? Nein, für mich nicht: Die Produktivität sowie die Optionen, die Agentur bei deutlich mehr Marketingentscheider:innen „persönlich“ zu positionieren, steigen dadurch. Und das birgt nicht nur Vorteile auf Seiten der Agenturen. Neben den New-Business-Verantwortlichen der Agenturen können auch die Ansprechpartner:innen auf potenzieller Kundenseite schneller einschätzen, wie qualifiziert der Kontakt ist und ob überhaupt das Fundament für eine Zusammenarbeit besteht.

Gleichzeit haben wir durch die Reduzierung der Reisetätigkeiten Kosteneinsparungen im Vertriebsbudget, die wir wiederrum für Maßnahmen zur Leadgenerierung einsetzen können.

Und was ist mit dem Gefühl, ob die Chemie stimmt?

An dieser Stelle ist der Einwand, dass sich die zwischenmenschliche Chemie bei einem persönlichen Meeting besser einschätzen lässt, nicht weit her. Das kann sicherlich der Fall sein, doch auch bei digitalen Terminen bekomme ich ein Gefühl dafür, ob Menschen „auf einer Wellenlänge schwimmen“ und eine Zusammenarbeit vorstellbar ist. Denn es ist auch so, dass ich im Laufe meiner Jahre bei der JOM Group aus vielen persönlichen Kennenlernterminen in Präsenz mit dem Gefühl „Mensch, das hättest du dir auch sparen können“ herausgegangen bin. Klar, solch ein Gefühl habe ich auch nach Video-Calls, aber da habe ich keinen Tag „verloren“ und habe idealerweise am gleichen Tag noch eine weitere Chance, mich mit einem/einer Marketingentscheider:in auszutauschen.

Video-Meetings sind damit im vorgelagerten Neugeschäftsprozess eine enorme Bereicherung, die aber Übung bedarf, auch digital seinen Charme spielen lassen zu können.

Das perfekte digitale Chemistry Meeting

Doch egal, wie viele Ersttermine digital stattfinden, wenn diese nicht ordentlich und mit Bedacht konzipiert sind, kann kein guter Eindruck hinterlassen werden – und das gilt sowohl für die Seite der Dienstleister als auch für die Seite der Marketingentscheider:innen. Wer für den Termin eine reine Agenturvorstellung plant, sollte von Anfang an nicht daran teilnehmen. Hier gilt es, sich immer zu fragen, wie man sich selbst einen Termin mit einem Dienstleister vorstellt. Und da ist dann schnell klar, dass der Termin klären sollte, was die Agentur an Mehrwert für den Kunden mitbringt. Welche Herausforderungen und Chancen die Agentur für den Kunden sieht und welche Ansätze für die Kommunikationsoptimierung ersichtlich sind.

Mit diesen Punkten im Hinterkopf lässt sich auch innerhalb weniger Tage, ein qualitativ hochwertiges Meeting via Videokonferenz vorbereiten, aus dem sich im besten Fall ein Ansatz oder eine Projektarbeit ergibt.

Wettbewerbspräsentation: Weniger Show, mehr Inhalt

Meetings im digitalen Raum eignen sich aber nicht nur für ein erstes Kennenlernen, auch in der finalen Pitch-Phase der Wettbewerbspräsentation besteht die Möglichkeit zu glänzen. Denn der Fokus liegt hier ganz klar auf dem inhaltlichen und weniger auf der Show. Trotz der räumlichen Distanz gibt es Mittel und Techniken, Nähe herzustellen und ein Meeting auf persönlicher Ebene zu führen. Aber auch eine Portion Mut gehört dazu, mal etwas Neues auszuprobieren und bspw. einen digitalen Live-Rundgang durch die Agentur zu machen.

Darüber hinaus machen es die digitalen Hilfsmittel nicht nur möglich, an mehreren Terminen an einem Tag teilzunehmen, sondern es entsteht auch eine neu gewonnene Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Konnten Kolleg:innen solche Meetings vorher schwer oder nur unter Umständen wahrnehmen, da sie in Teilzeit arbeiten oder andere private Verpflichtungen haben, sieht dies nun ganz anders aus.

Fazit

Abschließend bleibt mir zu sagen, dass sich unsere Branche in diesem Segment enorm weiterentwickelt hat und wir uns immer mehr von den vorherigen, teils starren Strukturen lösen müssen und werden. Das ist schon jetzt ein absoluter Gewinn. Nichtsdestotrotz freue ich mich, wieder mehr den persönlichen Kontakt zu pflegen, Menschen mit einem Händedruck (oder ähnlichem) begrüßen zu können und auch in Präsenz Ersttermine, Pitch-Präsentationen oder Chemistry Meetings durchzuführen. Das heißt konkret, dass der Pitch nicht aussterben wird, die Wege, wie sich Agenturen und Kunden finden, aber deutlich an Vielfalt gewinnen.